Welche Auswirkungen hatten die Bewegungseinschränkungen aufgrund von COVID-19 auf den steuerlichen Wohnsitz?

Wie allgemein bekannt ist, begann Ende 2019 eine weltweite Pandemie, die Anfang 2020 Europa erreichte und alle Aspekte des täglichen Lebens beeinflusste. Für die Steuerzahler hatte dieser Umstand leider nicht nur emotional große Auswirkungen, sondern auch in Bezug auf ihre Steuerpflichten.

Die spanische Regierung verhängte den Alarmzusstand, stellte den internationalen Personenverkehr von Reisenden ein und verfügte Bewegungseinschränkungen sowohl für diejenigen, die steuerrechtlich ihren Wohnsitz in Spanien haben, als auch für jene, die sich in Spanien aufhielten, obwohl ihr steuerlicher Wohnsitz woanders ist. 

Die Frage des steuerlichen Wohnsitzes war schon immer eine der Fragen, die bei der Einkommensteuer die größten Schwierigkeiten aufgeworfen hat, denn dieser hat wenig mit dem in der Umgangssprache oder in anderen Rechtsbereichen bekannten Wohnsitz zu tun.

Die Generaldirektion für Steuern stellte in der verbindlichen Konsultation V1983 vom 17. Juni 2020 eindeutig dar, welche Auswirkungen die in Spanien verhängte Lage in Bezug auf den Steuersitz hat. 

Wie die Generaldirektion für Steuern stützen wir uns auf die Auslegung von Artikel 9 des Einkommensteuergesetzes, welches Folgendes aussagt:

„1. Es wird davon ausgegangen, dass der Steuerpflichtige seinen gewöhnlichen Wohnsitz im Hochheitsgebiet Spanien hat, wenn eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist:

  1. Der Steuerpflichtige hält sich im Laufe eines Kalenderjahres mehr als 183 Tage in Spanien auf. Für die Bestimmung der Aufenthaltsdauer im Hochheitsgebiet Spanien werden die sporadischen Abwesenheiten angerechnet, es sei denn man weist seine steuerliche Ansässigkeit in einem anderen Land nach.  Im Falle von Ländern oder Hochheitsgebieten, die regulartorisch als Steuerparadies eingestuft werden, kann die Finanzbehörde den Nachweis des Aufenthalts in diesen von mehr als 183 Tagen in einem Kalenderjahr verlangen. 
    Für die Bestimmung der im vorstehenden Absatz genannte Dauer werden vorübergehende Aufenthalte in Spanien, die sich aus unentgeltlichen Verpflichtungen ergeben, die in kulturellen oder humanitären Kooperationsabkommen mit den spanischen öffentlichen Verwaltungen geschlossen wurden, nicht berücksichtigt. 
  2. Der Mittelpunkt oder die Basis der Tätigkeiten oder wirtschaftlichen Interessen des Steuerpflichtigen liegen direkt oder indirekt in Spanien. 
    Sofern nichts Gegenteiliges nachgewiesen wird, wird angenommen, dass der Steuerpflichtige seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien hat, wenn nach den vorstehenden Kriterien der nicht rechtmäßig getrennte Ehegatte und die von ihm unterhaltsberechtigten minderjährigen Kinder ihren gewöhnlichen Wohnsitz in Spanien haben. 

2. Ausländische Staatsangehörige, die ihren gewöhnlichen Wohnsitz in Spanien haben, gelten aufgrund der Gegenseitigkeit nicht als Steuerpflichtige, wenn dieser Umstand auf einer der in Artikel 10 Abschnitt 1 dieses Gesetzes aufgestellten Annahmen beruht und die Anwendung besonderer Vorschriften aufgrund von internationalen Abkommen, denen Spanien beigetreten ist, nicht gilt.”

Wir haben nicht die Absicht, das Thema hier vollständig abzuhandeln, sondern möchten lediglich folgende Aspekte hervorheben:

  • Der steuerliche Wohnsitz in Spanien gilt als gegeben, wenn sich eine natürliche und nicht juristische Person länger als 183 Tage in Spanien aufhält.
    Wenn Sie sich im Jahr 2020 länger als 183 Tage auf spanischem Gebiet aufgehalten haben, müssen Sie für das Jahr 2020 die Einkommensteuer (IRPF) vorlegen, auch wenn Sie aufgrund der Mobilitätseinschränkungen nicht in Ihr eigentliches „theoretisches" Wohnsitzland zurückkehren konnten und Sie demzufolge als Steuerpflichtiger in Spanien gelten.
  • Dies steht jedoch im Widerspruch zu Artikel 4.2 des Doppelbesteuerungsabkommens, welcher in den zwischen Spanien und dem Vertragsstaat ratifizierten Abkommen wiederholt wird.
    Genannter Artikel legt fest, dass Steuerpflichtige mit Wohnsitz in zwei verschiedenen Ländern niemals gleichzeitig in beiden Ländern als ansässig zu betrachten sind. 

Durch die Ausrufung des Alarmzustands trat diese Situation unter anderem mit Marokko ein, da viele Ansässige Marokkos sich gezwungen sahen, länger als erlaubt in Spanien zu bleiben. 

Artikel 4.1 des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Spanien und Marokko verweist jedoch auf die internen Vorschriften der Vertragsstaaten, um den steuerlichen Wohnsitz der Steuerpflichtigen zu bestimmen, und zwar aufgrund des von der OECD angebotenen Muster-Doppelbesteuerungsabkommens, das festlegt, dass die Feststellung der steuerlichen Ansässigkeit ausschließlich Sache des Vertragsstaats ist. 

Bemerkenswert ist, dass der genannte Artikel 9 des Einkommensteuergesetzes für die Fälle des Wohnsitzes des Ehegatten oder der von ihm unterhaltsberechtigten minderjährigen Kinder eine Vermutung iuris tantum begründet, diese Vermutung jedoch nicht für jene Fälle begründet, in denen man aufgrund von Notwendigkeit oder Gesundheitsnotstand in Spanien bleiben muss, was zu der Annahme führt, dass dieser für alle Zwecke als Steuerzahler gilt.

Die Lösung für dieses Problem wird im Bericht “OECD Secretariat Analysis of Tax Treaties and the Impact of the Covid-19 Crisis”, vom 3. April 2020 gegeben, wo Richtlinien festgelegt werden, auf die sich die Mitgliederstaaten berufen können. 

Genannter Bericht weist in Absatz 34 daraufhin, dass das ausschlaggebene Kriterium für den steuerlichen Wohnsitz einer natürlichen Person, die gezwungen ist, während des Alarmzustands in Spanien zu bleiben, ihr ständiger Wohnsitz ist.

Zudem wird angeführt, dass die von dieser natürlichen Person während eines längeren Aufenthalts in Spanien genutzte Wohnung als dauerhafter Wohnsitz angesehen werden kann. 

In diesen Fall würde sich die Situation zwei ständiger Wohnsitze ergeben: einer im Herkunftsland und ein weiterer in Spanien.   

Sollte sich eine solche Situation ergeben, würden folgende Kriterien hierarchisch zur Anwendung kommen, um den einen oder den anderen Wohnsitz als den ständigen Wohnsitz zu bestimmen:

  • Staat, in dem der Schwerpunkt der lebenswichtigen Interessen liegen.
  • Staat, wo die Person gewöhnlich wohnt
  • Staat, dessen Staatsangehörigkeit die Person hat.

Demzufolge hält der Bericht fest, dass kaum davon ausgegangen werden kann, dass eine natürliche Person, die sich in Spanien aufhält, als eine in Spanien ansässige Person gilt. 

Im Sinne des von der OECD als Empfehlung an die Staaten herausgegebenen Berichts sollten sich auch bei Bestehen eines Doppelbesteuerungsabkommens keine steuerlichen Auswirkungen ergeben.

Dieses Kriterium, dem einige Länder gefolgt sind, hindert den spanischen Staat jedoch nicht daran, das in Artikel 9 des Einkommensteuergesetzes genannte Kriterium des gewöhnlichen Aufenthalts für steuerliche Zwecke weiterhin anzuwenden.

Abschließend ist auf die fehlende Bindungswirkung des OECD-Berichts hinzuweisen. Jeder souveräne Staat entscheidet, was unter steuerlicher Ansässigkeit zu verstehen ist, und die Empfehlungen unterscheiden sich von der Bindungswirkung der Konsultation der Generaldirektion für Steuern. Ebenfalls von Relevanz ist der Umstand, ob der verlängerte Aufenthalt in Spanien freiwillig und obligatorisch ist. 

 

Salma Stitou

Rechtsberaterin
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